Hallo unperfektes Ich

Hallo unperfektes Ich

Zum letzten Tag des Jahres war es nochmal an der Zeit für etwas Selbstreflektion, für die wiederholte Erkenntnis nicht perfekt zu sein und für ehrliche aber auch zuversichtliche Worte.

Hand auf’s Herz: ich bin ziemlich unperfekt.  Okay, im Grund bin ich ganz zufrieden mit mir, halte mich für einen (meist) eher positiven und optimistischen Menschen, für liebevoll, hilfsbereit und im Großen und Ganzen schon ganz in Ordnung. Aber ich habe eben auch meine Macken und Defizite. Die einen klein und vielleicht sogar charmant, die anderen groß und unschön und von manchen weiß ich wahrscheinlich noch nicht einmal was.

Nicht jede Macke ist eine schlechte Macke

Also, da gibt es die kleinen Macken, die mich keineswegs an mir zweifeln lassen, sondern mich zu dem Menschen machen, der ich eben bin. Vielleicht sogar einen gewissen Charm haben. Tollpatischigkeit ist beispielsweise eine solche Sache. Ja, ich bin tollpatschig. Sehr sogar. Und ich mag mich dafür, denn es sorgt regelmäßig für Lacher.

Oh, und ich fange unglaublich schnell an zu weinen. Oft nervte es mich selbst – besonders früher kam ich überhaupt nicht darauf klar, dass nur eine winzige Kleinigkeit passieren musste und mir unkontrolliert Tränen in die Augen schossen – ohne, dass ich auch nur irgendwas dagegen unternehmen konnte. Nach und nach und in kleinen Schritten kann ich aber akzeptieren, dass ich wohl einfach nicht nah am Wasser, sondern gar im Wasserfall gebaut bin. Nach und nach ist es mir nicht mehr unangenehm oder peinlich, sondern ich kann es als eine Eigenschaft verbuchen, die mich ausmacht, die eigentlich keinen Schaden anrichtet, sondern Teil meines emotionales Charakters ist – und das ist völlig in Ordnung so.

Nobody’s perfect

Es gibt aber auch andere Macken. Größere – die mehr Schwierigkeiten mit sich bringen als in der Öffentlichkeit beim Treppensteigen voll auf die Fresse zu fallen, schnell mal anfangen müssen zu heulen oder ohne jeglichen Lernprozess immer wieder viel zu heißes Essen ohne zu pusten in meinen Mund zu schaufeln und mir so regelmäßig die Zunge zu verbrennen.
Nein, es gibt noch größere Eigenschaften meinerseits, die mir das Leben gerne mal erschweren. Besser gesagt mit denen ich mir selbst und natürlich auch anderen Menschen das Leben erschwere.

Kleines Outing gefällig? Here we go!

Ich kann sehr impulsiv sein. Wenn ich richtig sauer bin, kann ich gerne mal Decke gehen und laut werden – mich genau entgegengesetzt zu dem verhalten, wie ich es eigentlich möchte. Ich kann stur seinManchmal will anderen nicht vor den Kopf stoßen oder sie verletzten und sage deshalb nicht, wenn ich etwas nicht in Ordnung finde. Stattdessen fresse ich es in mich hinein, lasse es meine Mitmenschen subtil spüren (da ich dieses Gefühl natürlich nicht komplett verschleiern kann) und stoße ihnen eben gerade damit vor den Kopf. Manchmal habe ich völlig unrealistische Erwartungen an meine Mitmenschen und bin enttäuscht, wenn sie diese nicht erfüllen. Dabei vergesse ich völlig, dass keiner meine Gedanken lesen kann und weiß, was ich mir wünsche. Und so weiter und so fort. Überhaupt nicht perfekt eben.

Paradoxer Weise bekommen meine charakterlichen Defizite gerade die Menschen ab, die mir am wichtigsten sind. Ziemlich bescheuert. Familie, Partner, gute Freunde. Vielleicht, weil ich bei ihnen am schnellsten in Unsicherheit gerate, weil mich etwas aus ihrem Munde besonders verletzt, weil die Hemmschwellen niedriger sind.

Nicht mit all meinen Macken verhält es sich wie mit der Tollpatschigkeit oder dem Weinen. Manche kann und will ich einfach nicht so recht akzeptieren. Manche finde ich einfach richtig, richtig blöd. Und manchmal weiß ich nicht, wie ich sie einordnen und mit ihnen umgehen soll.

Schwächen akzeptieren statt wegschieben

Ich denke, im ersten Schritt ist es aber dann wohl doch wichtig diese gewissen Problemstellen zu akzeptieren. Denn akzeptiert man diese nicht, akzeptiert man sein unperfektes Selbst nicht, seine Fehler und alles was dazu gehört, liebt man sich nicht mit all diesem Drum und Dran (oder ist zumindest zufrieden), dann wird es wohl auch recht schwer sich diese „Fehler“ überhaupt einzugestehen, ihnen auf den Zahn zu fühlen und etwas daran zu ändern. Leute, wir sind mehr als unsere Macken. Viel viel mehr. Aber sie sind nun einmal ein Teil von uns und das gilt es zu begreifen und zu akzeptieren.

Sich immer wieder zu reflektieren und kritisch zu hinterfragen ist verdammt wichtig. Aber auch mit anderen über sich reden, sich spiegeln zu lassen und das möglichst ehrlich und unverblümt. Denn manchmal sehen andere Dinge, die wir schlichtweg übersehen. Wichtig dabei ist nicht jede vermeintliche Macke als etwas Negatives zu sehen, sondern sie für sich zu sortieren. Wenn man das für sich immer weiter und neu rausfindet, dann ist der erste Schritt bereits getan. Für mich beispielsweise kann ich sagen: Tollpatschigkeit – willkommen in meinem Leben, schön, dass du da bist. Toben und laut werden – mit dir hab ich ein Problem.

Es ist nie zu spät an sich zu arbeiten

Aber jetzt kommt die gute Nachricht: man lernt nie aus, man kann sich immer weiterentwickeln, an sich arbeiten und sich verändert. Wenn man eben weiß, woran man arbeiten und was man verändern will. Das ganze Leben ist ein Kennenlernprozess. Zumindest, wenn man das möchte und nicht auf der Stelle stehen bleiben will. Man ist nie zu alt, Dinge über sich selbst zu erfahren. Man ist aber auch nie zu alt, an Dingen zu arbeiten und neue Wege einzuschlagen.

Meiner manchmal viel zu aufbrausenden und impulsiven Art versuche ich mit dem Streben nach mehr Ausgeglichenheit und Gelassenheit zu entgegnen. Mit dem Versuch meine Gefühle schneller einzuordnen, ruhiger zu bleiben und mich immer wieder zu erden. Ich versuche offener zu sein und schneller und ohne viel Tamtam zu sagen, wenn etwas los ist. Meine Wünsche zu formulieren statt sie nur zu erwarten. Und ich versuche Entspannung statt Sturheit walten zu lassen. Im Großen und Ganzen einfach an diesen ganzen Macken, die mir nicht so gefallen, zu arbeiten. Mich zu fragen woher sie kommen und wann sie besonders präsent sind. Sie schlichtweg im Blick zu haben und mich so weiterzuentwickeln.

Manchmal merke ich dann tatsächlich kleine Fortschritte und bin stolz auf mich. Manchmal allerdings gibt es auch immense Rückschläge, die zum Resultat haben, dass ich ziemlich sauer und enttäuscht von mir bin und mich gefühlt wieder einige Meter zurückwerfen.

Umgefallen? Aufstehen und Weitergehen!

Rückschläge wird es aber immer mal wieder geben. Und deswegen ist es wichtig sich nicht zu sehr davon zurückwerfen und aufhalten zu lassen, sondern mit noch mehr Entschlossenheit weiterzugehen. Zu sehen, dass man überhaupt versucht an sich zu arbeiten und dass es trotz Rückschlägen auch vorwärts geht. Der Weg ist das Ziel – aber der Weg ist nun mal keine leere Autobahn, die man in Windeseile durchrast. Der Weg ist voller Steine, mit verwirrenden Abzweigungen und tiefen Gräben. Man muss sich durchkämpfen und das dauert. Solange man sich davon aber nicht abhalten lässt oder aufgibt, solange man weiterläuft, auch wenn man dabei mal fällt, solange macht man alles richtig.

Wir sind alle Menschen – emotionale Wesen mit ihren tollen aber auch negativen Eigenschaften. Mit Macken und Problemen. Kein Mensch ist perfekt und das ist auch gut so, denn sonst wäre das Leben wohl ziemlich langweilig.

Akzeptieren und wachsen

Deswegen kann ich nur sagen: gehe reflektiert mit dir um aber sei dabei nicht zu streng zu dir selbst. Akzeptiere deine Schwächen und arbeite an den Dingen, die du ändern willst. Gerade wenn es Dinge sind, mit denen du auch andere Menschen verletzt. Dass du mal laut wirst, dass du mal pampig bist, schnell gereizt bist oder was auch immer macht dich nicht gleich zu einem schlechten Menschen. Es macht dich letzten Endes zu der Person, die du bist. Und wenn du dass erst einmal akzeptieren und auch dazu stehen kannst, dann ist bereits ein wichtiger Schritt getan. Wenn du dir jetzt noch vernimmst, an gewissen Dingen zu arbeiten, dich weiterzuentwickeln und das immer im Blick hast und etwas änderst, selbst wenn es in minimalen Schritten ist, dann ist das verdammt stark.

Nicht vergessen: du bist schon toll!

Und was wir bei all der Selbstoptimierung nicht vergessen sollten: es geht nicht nur darum Fehler an uns zu suchen und zu finden. Es geht auch darum dabei nicht zu schmälern, was wir gut an uns finden und wofür wir uns lieben. Es geht nicht darum unsere Selbstliebe und -achtung zu verlieren. Nicht darum unsere Selbstzufriedenheit über Bord werfen und nur noch Macken ausmerzen zu wollen. Ganz im Gegenteil: kein Ich bin schlecht, ich muss mich ändern, sondern vielmehr ich bin gut, so wie ich bin, mit all meinen tollen und nicht ganz so tollen Eigenschaften aber ich will mich trotzdem weiterentwickeln und mit manchen Dingen besser umgehen können. Also verliere dabei nicht gleich deine Selbstzufriedenheit – die brauchst du nämlich. Und alleine Fehler an sich einzugestehen und daran arbeiten zu wollen ist doch wiederum eine sehr positive und starke Eigenschaft, findest du nicht?

Wir sind toll. Alle miteinander. Und wir alle haben an jedem Ort und zu jedem Zeitpunkt die Möglichkeit zu lernen, zu wachsen und neue Wege einzuschlagen. Und das ist großartig. Man muss einfach nur anfangen und machen.

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